Hier mein Artikel, veröffentlicht in einer Printausgabe einer Zauberzeitschrift:
Backstage im PALAZZO – Tagebucheintrag vom 05.01.2008

Seit dem 14.10.2007 bin ich nun hier im Zelt am Rotundenplatz im zweiten Bezirk von Wien und die Zeit rennt an mir vorbei. Jetzt sind es nur noch 34 Shows bis ich am 11.02.2008 wieder aus Wien davonfahren muss. In dem Wissen, dass man die Zeit nicht aufhalten kann, nehme ich mir vor, die verbleibenden Tage noch mehr zu genießen als bisher.

Neben mir in der Garderobe sitzt Julie und schminkt sich, daneben sitzt Maxim Popasov aus Moskau, der sich unverständliche Sendungen im Internet ansieht. Vor ein paar Wochen haben wir eine streng geheime Vereinbarung mit dem Zelttechniker getroffen, dass dieser uns gegen die Bezahlung des Materials ein Netzwerkkabel in unseren Container legt. Seither haben wir Internet in der Garderobe. Der Ärger, der entstand, als diese streng geheime Vereinbarung an die Zeltdirektion gelangte, ist inzwischen verraucht.

Neben Maxim sitzt seine sehr nette italienische Freundin Sabrina, die mal wieder die Heizung derartig aufgedreht hat, dass für eine finnische Sauna eigentlich nur noch das Aufgussaroma fehlt. Für Handstandakrobaten ist eine warme Garderobe die wichtigste Voraussetzung. Für Zauberer nicht. Die Bitte, die Heizung ein wenig herunterzudrehen, wird für Julie und mich zum täglichen Ritual.

In den anderen Garderoben geht es ebenfalls bunt einher: Die polnische Band übertrifft sich mit ihren Instrumenten in der Garderobe nebenan gegenseitig an Lautstärke. In der Damengarberobe I singt sich die Opernsängerin ein, was zwangsläufig dazu führt, dass die Mitinsassen Rosaria (italienischer Clown, weiblich), Priscilla (Hula Hoop) und Yvonne („Madame“) ihre Garderobe fluchtartig verlassen. Daneben die ukrainische Damengarderobe II, bestehend aus vier hübschen Artistinnen, wenig Kleidung und sehr viel Schminke. Zwischendurch rennt der Stagemanager immer wieder von Garderobe zu Garderobe und ruft mit einer Stoppuhr bewaffnet in verschiedenen Sprachen die Anzahl der Minuten bis zum Beginn der Show in die Container.

Die Gäste kommen ab 18.00 Uhr ins Foyer, um 18.35 Uhr gehe ich mit der „Dame ohne Oberleib“ (ein Requisit von Romi) einmal durchs Foyer. Julie liest den Gästen aus den Tarotkarten. Alica setzt sich in den magischen Spiegel, ebenfalls ein Requisit von Romi. Um 18.50 Uhr ist dann Einlass ins Zelt, ich präpariere noch schnell meine Close-up-Sachen und mache meinen ersten Rundgang. An den ersten Tischen lasse ich mir Zeit, zeige bis zu vier Kunststücke am Tisch, was eigentlich viel zu viel ist, schliesslich sind 50 Tische im Zelt, aber ich brauche das am Anfang um mich selber in Fahrt zu zaubern. Es gibt Tische im Aussenring und Tische in der Manege. Am Anfang bleibe ich im Aussenring, in der Manege hätte Tischzauberei zunächst zuviel Fokus. Für eine Bühnenshow sind jedoch meine Kunststücke zu klein und auch nicht dafür gedacht. Später werden die Gäste an Action gewöhnt sein, vermuten, dass ich auch noch an ihren Tisch kommen werde und nicht mehr alle gleichzeitig auf mich schauen, wenn ich in der Manege tischzaubere.

Die Show beginnt. Ich bereite backstage meinen nächsten Tischzaubergang vor. Und auch die Produktion des Fisches für den ersten Gang aus einem Ballon. Dann gibt es die Vorspeise – inzwischen weiss ich, in welchem Muster die Kellner eindecken. Also suche ich mir Tische, die noch etwas länger auf ihr Essen warten müssen. Allerdings macht sich schon für mich eine gewisse Hektik breit, denn die Vorspeise ist sehr schnell verteilt. Dann schaue ich, welche Gäste NICHT MEHR essen. Dort zaubere ich weiter. Die Kellner haben inzwischen verstanden (nach mehrfachen Abstimmungen mit dem Restaurantchef und den Kellnern selbst), dass sie sich mit ihren Getränken neben mich stellen müssen, damit ich sie sehe und mein Kunststück zuende bringen kann. Dann erst dürfen sie die Getränke servieren. Anders beim Servieren des Essens. Da habe ich nicht mehr da zu sein, wenn die Kellner kommen.

Der nächste Showteil beginnt. Ich bereite wiederum meine nächsten Tischzaubereien vor und präpariere den schwebenden Tisch, mit dem ich die Suppe in das Zelt schweben lassen werde. Der zweite Gang beginnt. Wieder Tischzauberei. Julie hat inzwischen die Säbelkiste präpariert, die wir im dritten Showteil zeigen. Diesmal ist die Spritze mit dem Blut ein wenig verstopft, so dass das Blut letztenendes mit derartiger Kraft aus dem Karton spritzt, dass es die Tischdecke eines Tisches in der Manege von weiss nach rot verfärbt. Life is live.

Wieder Tischzauberei. Im vierten Showteil zeigen Julie und ich unser Gedankenlesen. Nach nunmehr drei Monaten und ständigem Ausprobieren sind wir mit unserer Präsentation sehr zufrieden. Der Stagemanager beschwert sich: „Dreizehneinhalb Minuten! Euch stehen zwölf zu!“ Wir freuen uns trotzdem.

Das Dessert bringe ich mit der „Dame ohne Oberleib“ in die Manege. Ein schöner Effekt. Wenn ich Lust habe, zeige ich auch während des Desserts noch Tischzauberei. Meist bin ich aber zu erschöpft.

Der letzte Showblock beginnt. Finale. Vorhang.

Nach der Show trinken wir Künstler in Alltagskleidung noch ein Glas Wein (Julie: Erdbeersaft) im Foyer und schauen uns die Gesichter der das Zelt verlassenden Gäste an. Sie sind guter Laune. Wir haben es geschafft! Puh. Morgen auf ein Neues!!!

Ende